"Macht die Energiewende den Weg frei für das Einfamilienhaus im Grünen?"
Ja! 25%
Nein! 75%
So lange Architekten zurück denken können, gilt das Mantra „Dichter ist besser“. Seitdem versuchen wir Städte kompakt zu bauen, Vorstädte einzudämmen; wir warnen vor dem Einfamilienhaus als zivilisatorische Todsünde und loben das mehrgeschossige Wohnen. Die Realität zeigt davon ziemlich unbeeindruckt.
Zum einen wird mit der urbanen Explosion in Asien und anderswo immer klarer, dass eine unbegrenzte Zunahme in der Bebauungsdichte ab einem bestimmten Punkt auf Kosten der Lebensqualität geht – Hong Kong ist Spitze in der Dichte, doch finden nicht viele Menschen 40stöckige Wohntürme mit Minimalabständen von 15 Metern auch lebenswert. Zum anderen träumt ein Großteil der Menschen ausgesprochen oder insgeheim immer noch den Traum vom Einfamilienhaus mit Garten. Wer beruflich an die Stadt gebunden ist, lebt seine Sehnsucht nach dem Land am Wochenende aus und trifft seinesgleichen verlässlich im Stadtfluchtstau auf der Autobahn oder in überfüllten Zügen wieder.
Gleichzeitig wird das Dichtediktat von unserer rückläufigen Bevölkerungsentwicklung konterkariert. 2050 werden in Deutschland nur noch circa 60 Millionen Menschen wohnen, dass sind gut 20 Millionen weniger als jetzt und das Äquivalent dessen, was die DDR einmal als Bevölkerung hatte. Schon jetzt entvölkern sich ganze Landstriche in den östlichen Bundesländern, stellenweise ist die Grundversorgung auf dem Land nicht mehr gewährleistet. Was machen wir aber mit all dem Raum? Überlassen wir die entsiedelte Landschaft einfach sich selbst zur automatischen Renaturierung, so wie MVRDV das vor Jahren für die Schweiz vorschlug?
Ausgerechnet die Energiewende eröffnet nun ein Szenario, das den Traum vom Haus im Grünen nun auch unter ökologischen Gesichtspunkten diskutabel erscheinen lässt. Ab dem Moment, ab dem wir den automobilen Individualverkehr vollkommen auf nachwachsende Energien umstellen und mit unseren Häusern unseren kompletten Eigenenergiebdarf befriedigen können, wären Siedlungsformen mit niedriger Dichte ökologisch nicht mehr per se schlechter als die kompakte Stadt. Es wäre der Antichrist der orthodoxen Raumplanung: Sustainable Suburbia?
Jein ...
Nein ...
Nein ...
Nein ...
Jein ...
Jein ...
Jein ...
Wir sind nicht in der Lage zu beantworten, ob Dichte und Kompaktheit die richtige Stadt- und Gebäudeform für die Zukunft sind oder nicht. Nicht einmal rein energetisch gesehen. Schon bei Gebäuden lässt sich das nicht pauschal beantworten. Eine große Oberfläche erhöht die Möglichkeit der Austausch zwischen Innen und Außen an Wärme, Strahlung, Luft, Licht usw. Das kann je nach Eigenschaft der Oberfläche und Art des Gebäudes wünschenswert sein oder nicht. Deswegen sind klimatisch optimierte Gebäude nicht immer kompakt. Es gibt genug Fälle, in denen Gebäudeoberflächen aus energetischen und klimatischen Gründen maximiert sind und die Gebäudevolumetrie fraktalen Geometrien verwandt ist. Nicht viel anders verhält es sich mit der Stadtform. Kompakte Siedlungs- und Stadtformen vermeiden vermeintlich Mobilitätsaufwand. Doch gibt es Systemökologen, die darauf hinweisen, dass steigende Siedlungsdichten mit exzessiverem Reiseverhalten einhergehen kann, was die vermeintliche Einsparung an Mobilitätsenergie im Alltag mehr als überkompensiert. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln, Energie und anderen Dingen kann die Effizientsgewinne in der Alltagsmobilität konterkarieren.
Es gibt auf dem Globus eine große Bandbreite an Siedlungsformen und es wäre mehr als verwegen zu behaupten, dass die Qualität der Siedlungsform mit zunehmender Dichte steigt. Man kann nicht einmal sagen, dass eine höhere Dichte per se urbaner wäre. Doch auch die gegenteilige Behauptung macht keinen Sinn. Es ist auch nicht die Aufgabe von Architekten und Planern, Menschen vorzuschreiben, ob sie eher in Städten oder auf dem Land leben sollen. Ziel bei der Gestaltung von Siedlungsstukturen sollte aber sein, dass sie nicht alleine individuelle Interessen adressieren, sondern das Fortleben der Gesellschaft(en) als ganzes befördern und die Qualität des Zusammenlebens erhöhen. Hierfür Modelle hoher wie geringer Dichte zu entwickeln ist die Herausforderung von Architekten, Stadtplanern und Ingenieuren.
Was das Einfamilienhaus betrifft, muss man allerdings konstatieren, dass es ganz unabhängig von Dichtefragen obsolet ist. Einfamilienhaussiedlungen sind in ihrer Monofunktionalität antiquiertes Beispiel der "funktionalen", also funktionsgetrennten Stadt. Bevor man weitere Einfamilienhausghettos erstellt, sollte man lieber beginnen, in bestehenden Siedlungen das Baurecht zu lockern und Funktionsmischung zulassen, so dass sich hier etwa Büro-, Gewerbe- und Einzelhandelnutzungen kleinmasststäblich entwickeln können. Während das Modell der funktionellen Stadt eigentlich schon lange in Verruf geraten ist, zeichnet sich der fällige Paradigmenwechsel bislang noch nicht ab. Das Einfamilienhaus ist auch Kernstück einer Konsumgesellschaft, in der Produktion und Konsumtion rigide getrennt sind. Gearbeitet und produziert wird andernorts, im Einfamilienhaus ist der Konsument zu Hause, der sich hier regeneriert und hierfür konsumiert.
Wenn das Haus zum Kraftwerk wird, ist dies nur der erste Schritt, diese künstliche Sterilität zu durchbrechen. Energiewende und Entwicklungen in den Kommunikationstechnologien haben neue Formen der Verbindung von Produktion und Konsumption eingeführt, die sich auch in anderen Lebensbereichen durchsetzen und bald das Modell der Konsumgesellschaft als ähnlich überholt erscheinen lassen. Das Haus der Zukunft ist eben keine reine Schlafstätte, sondern Ort der Produktion und Prozessierung von Energie, Lebensmitteln und Gegenständen, es ist Maschine, Werkstatt, Atelier und Büro. Vieles wird hier plötzlich selbstverständlich sein, was heute noch jenseits der Vorstellungskraft liegt. Dieses Haus kann global vernetzt oder autark sein, allein auf weiter Flur stehen oder in großer Zahl vertikal verdichtet sein. Nichts spricht heute dafür, dass eine dieser Optionen in der Zukunft ausgeschlossen sein wird. Vielmehr werden hoch verdichtete Strukturen mit äußert dünn besiedelten Räume koexistieren.
Philipp Oswalt, geb. 1964, Architekt und Publizist in Berlin. Mitinitator und Co-kurator der kulturellen Zwischennutzung des Palast der Republik ZwischenPalastNutzung/ Volkspalast, Leiter des Projektes Schrumpfende Städte der Kulturstiftung des Bundes 2002-2008, Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zur zeitgenössischen Architektur und Stadtentwicklung, seit Herbst 2006 Professor für Architekturtheorie und Entwurf an der Uni Kassel, seit 2009 Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.
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Ute Brönner/ von Erlach / 17.6.2012 / 17:38
Jein ...