"Braucht die Stadt Werbung?"
Ja! 24%
Nein! 76%
Pappschilder mit Portraits der Politiker säumen seit ein paar Wochen wieder die Straßen. Die Kampagnen der einzelnen Parteien als temporäre Erscheinung halten in der Zeit vor der Wahl gern als Small-Talk-Aufhänger her, aber mehr noch deren subversive Umdeutungen durch Sprayer. Dagegen ist die übliche Außenwerbung, die ganze Gebäude überzieht, selten ein Thema. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir uns aufgrund der alltäglichen Bilderflut schon Scheuklappen zugelegt haben und sie nicht mehr bewusst wahrnehmen.
In den 20er/30er Jahren stand beleuchtete Fassadenreklame noch für Fortschritt. In Learning from Las Vegas (1972) erklärten Denise Scott Brown, Robert Venturi und Steve Izenour die Reklame zu einem wesentlichen Element des (post-)modernen Stadtraums. Heute wird dagegen der Wunsch nach einem Ausmisten im Schilderwald immer lauter. Störung und Belästigung sieht die Initiative „Amt für Werbefreiheit und gutes Leben“ in der Plakatierung des öffentlichen Raums und engagiert sich für dessen gemeinschaftliche Umgestaltung im Sinne eines nachhaltigeren Lebens ohne ständige Konsumverführung. Dass man das nicht hinnehmen muss, hat Sao Paulos Bürgermeister Kassab Ernst 2007 bewiesen, als er für den öffentlichen Raum der Stadt ein allgemeines Werbeverbot erließ. Laut Umfragen sind zwei Drittel der Bevölkerung damit zufrieden, auch weil die Architektur wieder stärker in den Vordergrund tritt. Auch anderswo, wie in Zürich, wird darüber debattiert, ob weniger Werbung den öffentlichen Raum stärken würde.
Wird die Stadt ohne Werbung schöner? Oder verliert sie dadurch einen Teil ihrer Identität? Zöge man nachts den Stecker, wäre der New Yorker Times Square doch nicht wieder zu erkennen und auch bei Tage wäre er wohl nicht viel mehr als ein Häufchen Elend. Inwieweit wäre ein Werbeverbot im öffentlichen Raum oder zumindest eine stärkere Reglementierung eine Freiheitsbeschneidung des Marktes oder gar Verlust an Information? Und was würde eine solche Reglementierung für die Street Art bedeuten, werden in Sao Paulo doch schon Sprayer als Webegestalter von Firmen eingesetzt (siehe Wirtschaftswoche)? Müssten wir hierzulande ohne Werbung etwa auf unsere Bushäuschen verzichten, weil sie sonst keiner finanziert? In Paris wird das städtische Fahrradleihsystem Velolibe komplett über Werbung finanziert, die Stadt zahlt nichts und für die Nutzer sind Fahrten unter 30 Minuten kostenfrei. Was macht andererseits der tägliche Anblick von Verführung, idealisierter Menschen und unrealistischen Lebenssituationen mit uns und unseren Kindern? Ist das Leben ohne Plakate vielleicht einfach stressfreier, weil es weniger Reize gibt?
Diese Debatte führt BKULT in Zusammenarbeit mit der Initiative „Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben“.
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Aus ästhetischer, ökonomischer und demokratischer Sicht ist es nicht zu rechtfertigen, dass unsere Städte und Bahnhöfe mit dümmlichen und schmuddeligen Kaufaufforderungen zugekleistert werden. Die Städte haben unseren öffentlichen Raum für ein paar Brosamen den Plakatgesellschaften verpachtet und damit dem Zugriff der Öffentlichkeit entzogen. Doch das große Geschäft machen nicht die Stadtverwaltungen, sondern die Plakatgesellschaften. Die Kleinbetriebe gehen in der Flut unter, den Informationsmedien entgehen existenzsichernde Inseratseinnahmen, und die Möglichkeit, sich zu äußern, erhält ein Preisschild.
Die Aufgabe des öffentlichen Raums ist es, für alle zugänglich zu sein und die Arten des Zusammenlebens in einer Gesellschaft auszuhandeln und zu vermitteln. Seine Aufgabe ist nicht, den Profit-Interessen einiger weniger Unternehmen zu dienen. Und letzten Endes sind es immer die Konsumentinnen und Konsumenten, die ungefragt über den Aufpreis auf die Produkte und Dienstleistungen die Werbung finanzieren.
Der Zeitpunkt wird nie kommen, an dem die Werbeindustrie sagt, dass das Optimum erreicht ist. Wenn wir die Industrie nicht in ihre Schranken weisen, dann wird es immer mehr Werbung geben, denn die Plakatgesellschaften sind unersättlich und das Märchen von der unternehmerischen Selbstverantwortung bleibt ein Märchen. Die Zeit ist gekommen, die Werbungen in den Städten abzubauen und fachgerecht zu entsorgen.
Dr. Christian Hänggi ist Präsident der Zürcher IG Plakat | Raum | Gesellschaft, die sich für eine Reduktion der Außenwerbung einsetzt. Er doziert an der Ramkhamhaeng University in Bangkok und an der Universität Basel. Er ist Autor des Buchs Gastfreundschaft im Zeitalter der medialen Repräsentation, das sich mit der gesellschaftlichen Rolle der Werbung auseinandersetzt.
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