"Ist Architektur das Feigenblatt im Klimawandel?"
Ja! 67%
Nein! 33%

Foto: © Alexander Joe /AFP/Getty Images, Oxfam--Protestaktion wahrend des Klimagipfels in Durban
Mit dem gescheiterten Klimagipfel in Südafrika scheinen die politischen Steuerungsmechanismen zur Verhinderung der globalen Erwärmung vollends ins Stocken geraten zu sein. Auch der Energieverbrauch des Verkehrs steigt nicht nur in Deutschland fast ungebremst. Die Architekten hingegen schwitzen weiter pflichtschuldig im Hamsterrad der Effizienzsteigerung und arbeiten sich an immer perfekteren Zertifizierungsverfahren ab, um den Ressourcenhunger von Gebäuden (40% des weltweiten Energieverbrauchs) zu senken. Photovoltaik, Wärmepumpen, Wärmetauscher, Geothermie – kein Aufwand ist den Planern dafür zu groß, auch wenn die dadurch möglichen Energieeinsparungen zunächst von höheren Investitionskosten wettgemacht werden und sich nur langsam amortisieren. Dank des unermüdlichen Einsatzes der Interessenvertreter der Dämmstoffindustrie möchte eine Mehrheit der deutschen Politiker am liebsten auch den Altbestand flächendeckend mit einem Ökoguss aus Polystyrol überziehen – auch wenn die dabei verwendeten Materialverbindungen später nicht mehr trennbar sind und die Zeche für diesen Sondermüll wohl die Bewohner zahlen werden.
Dabei könnten wir das Klimaproblem viel einfacher in den Griff bekommen, indem wir fossile Energien ab sofort konsequent vermeiden. Es gibt mehr als genug nachwachsende und damit klimaneutrale Energie, man müsste sie nur dezentral erschließen und damit verfügbar machen. Die technischen Möglichkeiten, CO2-Ausstoß und Energieverbrauch weitgreifend zu verringern, sind längst bekannt. Allein der politische Wille fehlt, um den fälligen Paradigmenwechsel infrastrukturell umzusetzen. Ist Architektur zum Feigenblatt geworden, das verdecken soll, was die Politik nicht in der Lage oder nicht Willens zu tun ist?
Ja ...
Nein ...
Nein ...
Jein ...
Nein ...
Nein ...
... so groß kann das Blatt gar nicht sein, um die monumentale Blöße verdecken zu können, die sich die Industrienationen augenblicklich geben. Auch ist weder die Mentalität „nützt ja sowieso alles nix – also können wir es auch gerade so machen, wie wir es immer gemacht haben“ noch der Einwand „beim Verkehr und in der Industrie oder in anderen Ländern wird immer weiter gesündigt, warum sollen wir uns da als Tugendwächter aufspielen“ in irgendeiner Weise hilfreich. Der Verbrauch fossiler Energien und der Ausstoß von CO2 müssen reduziert werden und da ist jeder Ansatz zur Verbesserung erst einmal recht. Und wenn nur Deutschland oder nur der Bausektor in dieser Einsicht ganz alleine da stünden, würde dies den Wert des Unterfangens in keiner Weise in Frage stellen. Manchmal muss man eben auch vorausgehen, vor allem wenn man sich jahrelang eher passiv verhalten hat.
Auf der anderen Seite ist allerdings auch klar, dass wir uns auf unerprobtem Gebiet bewegen, und wo experimentiert wird, werden auch Fehler gemacht. Aus diesen Fehlern werden wir nur lernen, wenn wir sie überhaupt erkennen, und diese Erkenntnis setzt Transparenz und Aufrichtigkeit voraus. Endlose Rhetorik von der Wirksamkeit irgendwelcher Massnahmen ohne kritische Analyse vernebelt das Problem und behindert die Entwicklung. Auch muss man – bloss weil man meint, die Dringlichkeit und die „political correctness“ nachhaltigen Agierens erkannt zu haben – nicht gleich den Kopf abschalten. Es gibt viele Wege zum Ziel – je mehr davon ausprobiert werden, desto höher der Erkenntnisgewinn, desto besser das Ergebnis für die Baukultur.
Wir haben ein Problem, und ich denke, gerade Planer tun gut daran, ihre Energie und Kreativität einzubringen, um das Problem auf eine Art zu lösen, mit der wir und unsere Kinder leben werden wollen.
Prof. Matthias Sauerbruch, geb.1955 in Konstanz, gründete 1989 gemeinsam mit Louisa Hutton das Büro Sauerbruch Hutton. Das Büro ist international bekannt dafür, höchsten architektonischen Anspruch mit Nachhaltigkeit und Sinnlichkeit zu verbinden. Die Arbeit von Sauerbruch Hutton wurde mit zahlreichen Preisen und Ausstellungen gewürdigt. Matthias Sauerbruch hatte Lehrstühle in Berlin und Stuttgart inne, und ist gegenwärtig Professor an der Harvard Graduate School of Design. Er ist Mitbegründer der deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB und gehört seit 2007 der Akademie der Künste Berlin an.
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