"Ist billiger schöner?"
Ja! 25%
Nein! 75%

Wohn- und Geschäftshaus von Brandlhuber + ERA, Emde, Schneider in der Berliner Brunnenstraße, Foto: BKULT
"Arm aber sexy" ist selbst Berlin nicht mehr, den steigenden Immobilienpreisen sei Dank. Eine manifestartige Antwort auf diese Entwicklung sind Low-cost-Projekte wie das Galerie-, Büro und Wohnhaus in der Brunnenstrasse von Arno Brandlhuber. Ein "billiges Haus", wie der Architekt sagt. Und es handelt sich nicht um eine Einzelerscheinung – auf der IBA Hamburg ist ein ganzer Themenbereich "Smart Price Houses" gewidmet. Doch hat die Ökonomie des Bauens die Architektur seit jeher beschäftigt. Schon Vitruv hat unter dem Stichwort der "Distributio" die angemessene Verteilung der Materialien und Ausgaben für ein Bauwerk thematisiert. In der frühen Moderne sollte kostengünstiges Bauen dabei helfen, die Gesellschaft gerechter zu machen. Die Nachkriegsgeneration nutzte das Prinzip, viel aus wenig zu machen, als pure Überlebensstrategie. Heute ist sparsamer Umgang mit Energie- und Materialressourcen ein Mantra des nachhaltigen Bauens. Eine globale Relevanz erhält das billige Bauen heute aber im Zuge von Migration, Integration und wachsenden Städten. Neben Vorfabrikation, Materialminimierung, multifunktionalen Räumen oder dem Readymade verbreiten sich im informellen Städtebau rasant partizipative Typologien wie das Geceondo oder die Polykatoikia. Architektur wird hier als ein "Halbzeug" hergestellt und im weiteren Bauverlauf durch die Nutzer fertiggestellt. Eine ökonomische Strategie, die ihre ganz eigene Ästhetik erzeugt – cheap and "brutiful". Es wäre interessant zu sehen, wie die von calvinistischer Sparsamkeit und Zurückhaltung geprägte Schweizer Schule aussähe, wenn ihre Bauherren tatsächlich arm gewesen wären. Was uns zu der Frage führt: Entsteht für weniger Geld womöglich bessere Architektur?
Ja ...
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Nein ...
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Ja ...
Nein ...
Nein ...
... es gibt keine bessere oder schlechtere Schönheit. Es gibt Demut. Es gibt Vertrauen in das Ungestaltete, das Sein als Solches, die Einfachheit. Vielleicht ist die „billige“ Schönheit romantisch, die des edlen Wilden, des Rohen, des Echten, des Wahren. Nicht verfeinert, ursprünglich, unzweifelhaft und spröde, so stellen wir uns “richtige“ Schönheit vor.
Es gibt den Irrtum über die moralische Überlegenheit des Zweckmäßigen. In einer Zeit der sozialen Selbstvergessenheit wird die politische Korrektheit zur Attitüde, der Kampf für die Entrechteten chic. Und so notwendig Eindeutigkeit für die Beschreibung von Üblem ist, so verführerisch ist die eigene Zufriedenheit über das rechte (linke) Handeln.
Und es gibt die Dekadenz. Dekadente Schönheit ist schöner als moralisierende Schönheit. Sie enthält das Scheitern. Der süße Blick auf den eigenen Untergang wirkt befreiend. In der Dekadenz klärt sich der Blick, in der Dekadenz lässt sich die Kakophonie des täglichen Grauens orchestrieren. Dekadenz ist die Melancholie darüber, dass die Wirklichkeit einem nicht den Gefallen tut, das Erhabene im Rohen zu finden. Sie ist die ganz gewöhnliche Normalität – ja, genau das ist sie: gewöhnlich. Sie sehnt sich nach sich selbst, sie reduziert die Kosten, sie hat sich selbst zu einer perfekten Mittelmäßigkeit optimiert.
Leider ist das Billige nicht roh und damit schöner. Und das Rohe ist auch ungewollt. So kann man dann nur aus der Summe der Misstöne Gutes schaffen. So kann man die Dinge sich selbst überlassen und kleinste Änderungen an den Dingen vornehmen, winzigste Hinweise auf eine Kultur der Dekadenz. Denn im Verborgenen blühen die Schönheit und auch die Hoffnung. Schönheit sollte immer tiefer in die Welt blicken lassen.
Jörg Leeser, geb. 1967, ist Architekt in Köln. Gemeinsam mit Anne-Julchen Bernhardt gründete er dort 2000 das Architekturbüro BeL. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrgebiet Konstruktives Entwerfen der RWTH Aachen. Es folgten Vertretungsprofessuren an der Bergischen Universität Wuppertal und der Peter Behrens School of Architecture Düsseldorf. Außerdem war Jörg Leeser von 2007 bis 2011 Vorstandsmitglied des BDA Köln. BeL betrachtet Architektur als Hinterfragungsinstrument.
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jakob dunkl / 1.8.2012 / 6:57
Jein ...