"Haben die Architekten den Innenraum der Industrie überlassen?"

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Es gab einmal eine Zeit, da planten Architekten Häuser vom Scheitel bis zur Sohle. Nicht nur die leere Hülle, sondern auch den Inhalt. Und häufig war ihnen das Innen mindestens so wichtig wie das Außen. Ob wir die Häuser von Henry van de Velde oder Adolf Loos heute noch genauso bewundern würden, wenn sie sich nur auf die Gestaltung von Struktur und Fassade konzentriert, die Innenräume aber „neutral“ und „leer“ gelassen hätten?

Doch genau das ist doch heute die Mission von Architekten, vor allem im Wohnungsbau. Schleichend aber effektiv hat sich der Konsens durchgesetzt, dass Architektur irgendwo kurz hinter der Fassade aufhört. Für alles, was dahinter kommt, sind andere Experten zuständig. Das waren zunächst die Innenarchitekten, deren Legitimität Architekten bis heute gern mit dem Hinweis bestreiten, es gäbe ja auch keine Außenarchitekten (während dessen sie sich ironischer Weise immer mehr in eben solche verwandeln). Doch ziehen Innenarchitekten längst dasselbe Mistrauen auf sich, das Bauherren gegenüber Gestaltern reflexhaft entwickeln, sobald es um die Bestellung ihres Innersten geht. Das Heim ist heute der Ort, an dem das Subjekt seine Identität produziert – und dabei lässt es sich halt ungern durch suspekte Gestalter ästhetisch bevormunden.

Eher vertraut man auf die integrierten Lebensstilangebote der vereinigten Möbel- und Einrichtungsindustrie von Ikea, Habitat & Co, die das zeitgenössische Wohnen viel stärker konditionieren als Architekten das je vermocht hätten. Kein Wunder, dass diese den Innenraum nur mehr noch als Phantomschmerz empfinden können – ein Körperteil, der weh tut, obwohl man ihn längst verloren hat. Daher die Architektenparanoia, das Gebäude schnell noch fotografieren zu lassen, bevor „die Nutzer“ einziehen, was die bizarre Leere an Menschen und Dingen in der professionellen Repräsentation von Architektur nach sich zieht. Aber menschenleer sind nicht nur die Bilder. Während die stilwerkenden Verkaufsberater des omnipräsenten Design-oder-Nichtseins ihren Kunden in der Regel auch jene Wünsche von den Augen ablesen können, die sie gar nicht hatten, wissen Architekten immer weniger, wie sie mit Nutzern kommunizieren sollen. Vielleicht suchen diese ja gar nicht den virtuosen Überentwerfer. Vielleicht wären sie froh, bei der Organisation ihres räumlichen Umfelds einmal von jemandem beraten zu werden, der keine Produkte verkaufen will, sondern ihnen einfach vermöge seiner räumlichen Kultur dabei hilft, ihren Alltag räumlich so zu strukturieren, dass sich ihre persönlichen Lebensträume darin besser entfalten können.

Die modernen Architekten hatten keine Scheu, den Menschen zu zeigen, wie man schöner wohnen kann. Heute macht das eine Medienmaschinerie, die ganz unverhohlen die Interessen der Möbelindustrie bedient, weil sie von dieser auch dafür bezahlt wird. Architekt haben vor diesem industriell-ästhetischen Komplex entweder längst kapituliert oder sich ihm munter als Markendesigner für Teekannen oder Komfortklos an den Hals geworfen. Insofern ist es zweischneidig, wenn Architekten die Annexion der Architektur durch Baumärkte, Einrichtungshäuser und Luxusmöbelmarken beklagen. Hat diese Ausstatterallianz den Architekten wirklich das Wohnen entrissen? Oder haben die Architekten den Innenraum der Industrie überlassen?

 

Christian Stöckert / 10.2.2013 / 20:15

Architekt

Nein ...

So ein polemischer Schwachsinn. Ich kann die Beiträger der selbsternannten "Designpolizei" nicht mehr hören und lesen. Wo um Himmels Willen bleiben dabei die Wünsche der Bauherren und Bewohner. Es darf ja wohl davon ausgegangen werden dass jeder selber entscheiden darf wie er leben möchte. Das darfs auch IKEA sein. Herr Loos hat sicher Häuser komplett durchentworfen. Leider wird dabei vergessen dass dies vorallem für äusserst potente Bauherren geschehen ist. Leistungen die über den Entwurf der Baukonstruktion, -struktur und Oberflächen hinausgehen, werden heute einfach nicht mehr in Auftrag gegeben und das hat nichts damit zu tun dass wir Architekten solches nicht leisten wollen. Ich muss dringend um deutlich mehr Differenzierung bitten!
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Mateo Kries / 25.1.2013 / 17:45

Direktor Vitra Design Museum, Weil am Rhein

Nein ...

... denn die Kritik, die Industrie habe die Gestaltung von Innenräumen übernommen, weist in die falsche Richtung. Natürlich ist das Wohnen ein großer Markt geworden, auf dem es um Sinnsuche, Repräsentation geht. Aber war er das nicht schon immer? Die Gestaltung von Innenräumen auf die Banalitäten einer Lifestyle-Industrie zu reduzieren, ist so, als würde man den Architekten auf die architektonische Standardware unserer Vorstädte reduzieren. Es gibt eben die großen Würfe und die kleingeistigen Imitate.Letztendlich sind die Umbrüche in der Gestaltung von Innenräumen Teil eines Wandels, der sich durch das gesamte 20. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt. Dieser Wandel hat mit gesellschaftlichen und technischen Veränderungen zu tun, hat aber auch grundlegende Auswirkungen auf die Berufsbilder, die für die Gestaltung von Räumen verantwortlich sind. Lange Zeit war es ausschließlich der Architekt, der Räume gestaltet hat, schließlich war die Architektur als „Mutter aller Künste“ auch für diese dem Menschen nächste Sphäre zuständig. Doch schon mit der Verbürgerlichung des Wohnens, mit dem Aufkommen von Tapeten, Farbgestaltung, künstlichem Licht, konnte der Architekt nicht mehr sämtliche Details des Innenraums übersehen, so dass die Disziplin der Innenarchitektur entstand. Die großen Architekten entwarfen auch weiter Innenräume und Möbel, und weil diese aus einem Guss mit ihren Bauten entstanden, entstanden auf diese Weise oft die größten Würfe, während der Innenarchitekt eher für die Domestizierung der Avantgarde zuständig war. Mit der Industrialisierung und der Ausdifferenzierung von Lebensstilen entstand dann wiederum ein Spezialwissen, das vom Architekten allein nicht umgesetzt werden konnte, und es trat der Designer auf den Plan. Nun übernahm auch er Verantwortung für die Gestaltung von Innenräumen, insbesondere für deren Möbel und Objekte. Wenn wir die Entwürfe eines Verner Panton, einer Andree Putman oder eines Konstantin Grcic betrachten, so manifestieren sich darin Visionen eines Lebens in der Gegenwart, wie sie auch die große Bauten ihrer Zeit bündeln.Ohne diese Vorgeschichte ist eine Debatte darüber, wer heute wie an der Gestaltung von Innenräumen mitwirkt, nicht zu führen. Viel stärker als früher ist der Innenraum das Terrain, auf dem sich mehrere Disziplinen tummeln, und das zu Recht, weil die Anforderungen daran immer komplexer werden. Wenn er die Zeit dafür aufbringen will, kann jeder Architekt heute doch ein Zukunftsinterieur gestalten – die Industrie wird ihm dabei nicht im Wege stehen. Und wenn dieses Interieur gelungen ist, wird es seine Öffentlichkeit finden, denn diese sucht händeringend nach Visionen, die diesen Namen verdienen. Das gleiche gilt für Designer und Innenarchitekten. Letztere haben es dabei noch am schwersten, denn in einer Zeit, in der sich jeder sein Interieur selbst zusammenstellt, braucht man zwar Möbel und auch Häuser – aber die persönliche Schicht dazwischen, die früher einmal das Terrain des Innenarchitekten war, erschafft sich heute jeder selbst. Interessant wäre deshalb eine Diskussion um die Zukunft der Innenarchitektur, die aus meiner Sicht mitnichten überholt ist. Aufgaben gäbe es genug, doch müssten sie besser benannt werden: wie verbinden wir heute Wohnen und Arbeiten? Wie können neue Medien so in den Wohnraum integriert werden, dass sie diesen nicht in einen Mediamarkt verwandeln? Wie können wir nachhaltiger Wohnen, indem wir Lebenszyklen, Gebrauchzyklen und gemischte Funktionen von Räumen berücksichtigen?Solche Themen lassen sich nur in einem kulturellen Raum diskutieren, da sie große gesellschaftliche Fragen betreffen. Natürlich kommt dann auch wieder die Industrie ins Spiel, denn anstatt Investitionen in modische, kurzlebige Artikel wäre ihre Unterstützung für wirklich innovative Produkte gefragt. Aber die kulturelle Öffentlichkeit steht ebenso in der Pflicht, also Medien, Hochschulen und Museen. Deswegen versuchen auch wir am Vitra Design Museum, dazu einen Beitrag zu leisten. Hier seien nur zwei Beispiele dafür genannt: Am 22. Februar 2013  eröffnen wir die erste große Retrospektive über Louis Kahn seit 20 Jahren. Kahn war ein Musterbeispiel dafür, wie Architektur Räume gestalten kann, ohne jedes Möbel und jedes Einrichtungsdetail definieren zu müssen. Die Raumstrukturen Kahns, seine Lichtführung waren so souverän, dass die Haltung des Architekten zum Innenraum völlig deutlich wird, ohne dass er seine „Signatur“ über selbst gestaltete Möbel kommunizieren müsste. Das interessierte ihn auch gar nicht so sehr, es war die Sphäre, in der ein Bau ein Eigenleben entfalten sollte. Ein zweites Beispiel: Für 2014 arbeiten wir mit Konstantin Grcic an einer großen Einzelausstellung, die erstmals eine umfassende Vision von Grcic für das Interieur der Zukunft präsentieren wird. Der Titel: „Future Perfect“. Auf eine solche Zukunft kann sich die Architektur dann freuen, wenn Architekten die verstaubten Scheuklappen einer wie auch immer gearteten professional supremacy fallen lassen und sich endlich als Teil jenes produktiven Gestaltungsnetzwerks begreifen, das in Wirklichkeit schon längst die produktive Infrastruktur unserer gebauten Umwelt darstellt. Mateo Kries ist Direktor des Vitra Design Museums. Er wuchs in Spanien und Deutschland auf, studierte Kunstgeschichte und Soziologie und begann 1995 seine Tätigkeit im Vitra Design Museum. Dort kuratierte er zahlreiche Ausstellungen, leitete von 2000 bis 2006 das Vitra Design Museum in Berlin und übernahm 2011, zusammen mit Marc Zehntner, die Gesamtleitung. Neben seiner Museumstätigkeit publiziert Kries Texte und Bücher über Design und Architektur, war Mitgründer des Festivals Designmai und ist Mitglied zahlreicher Jury, u.a. des deutschen Designpreises. Zu den Themen seiner Ausstellungen zählten u.a. Le Corbusier, Mies van der Rohe, Rudolf Steiner, Joe Colombo, arabische Architektur und Issey Miyake. Sein letztes Buch „Total Design“ (Nicolai Verlag, 2010) ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Omnipräsenz von Design in unserem täglichen Leben. 
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Sabine Keggenhoff / 24.1.2013 / 12:13

InnenArchitektin, Arnsberg-Neheim

Ja ...

... möchte ich mit dem ersten Blick auf die Frage antworten. Das Phänomen von sorgsam konstruierter Hülle und augenscheinlich aussagelosem Kern ist leider Teil meines beruflichen Alltags, meiner Profession. Zu oft schon habe ich Gebäude betreten und mich gewundert. Gewundert darüber, dass das vermeintlich bedacht investierte Geld nicht gereicht hat, Kompetenzen nicht von A bis Z gebündelt wurden, Synergieeffekte bestimmter Berufsgruppen nicht an einem Tisch genutzt oder der spätere Nutzer einmal mehr unbekannt oder gar absichtlich anonymisiert worden ist. Ist die Zugänglichkeit zu Architektur, Innenarchitektur und Design heute – und darin sehe ich wenig Verwerfliches – durch gewisse Unternehmen gewährleistet, leidet die Individualität. Gestaltung heute bedient jeden.Mit Sicherheit ist dies eine der offensichtlichen „Errungenschaften“, das Ergebnis der erfolgreich funktionierenden Marketingmaschinerien. Gestaltung wird standardisiert und normiert. Grenzen und Status lösen sich auf, qualitativ hochwertige und bedacht individualisierte Lösungen gesamtgesellschaftlich marginalisiert. Jeder kann alles, jeder hat alles, jeder ist kreativ, do-it-yourself, Beliebigkeit. Aber was ist leerer als Beliebigkeit? Und wie gehen wir mit dieser Leere um?Jedoch, lasse ich mich auf die eigentliche Komplexität der Thematik ein, auf das was ich zwischen den Zeilen zu lesen vermag, komme ich unweigerlich an den Punkt, an dem es gilt zu differenzieren. Die Frage ist unpräzise formuliert , führt in der Diskussion zu einer verkürzten Sichtweise und zeigt sich garantiert nicht dienlich, um die komplexe berufliche Realität und die vielfältigen Verantwortungen und Abhängigkeiten eines InnenArchitekten gegenüber der Bauherrenschaft, bis hin zur Gesellschaft zu beschreiben. Also: um welchen (Innen-)Raum geht es eigentlich? Geht es um öffentlich zugänglichen Raum? Privatbereiche? Geht es um Repräsentanzen oder gar um temporäre Architekturen? Reden wir über Investorenbauten oder Markenarchitekturen? Kennen wir den Nutzer? Wissen wir um seine Bedürfnisse und Rituale? Sein Individualisierungsbedürfnis? Sein Lebenskonzept, welches sich unmittelbar auch in einem Wohnkonzept charakterisiert?Die Erfahrung zeigt – und in diesem Fall spreche ich aus der Perspektive einer InnenArchitektin mit mehr als zehnjähriger Berufserfahrung – , dass konzeptionell arbeitende InnenArchitekten selten einen (Innen-)Raum verloren haben, an niemanden. Konzepte ermöglichen eine gesamtheitliche Planung - von Boden, Wand und Decke bis hin zur Bewegung des Nutzers innerhalb des physisch begehbaren Raumes. Ein individuell geschnürtes Paket, dass sich – zu seinem ganz eigenen Preis - per se gegen die von Unternehmen entwickelten Massenkonzepte stellt. Über Geschmack lässt sich häufig streiten, über Konzepte nicht.InnenArchitekten, die konzeptionell arbeiten, lernen vorauszudenken, überzuordnen, und Choreographien zu entwickeln, welche den statischen Raum mit dem Nutzer vereinen und ihr Innovationspotential ihrem Maßstab und Zweck entsprechend offenbaren. An dieser Stelle wird die Industrie zum Planungspartner, die einen Fundus an Materialität, Technik und Machbarkeiten bereit hält – eine Art „Alphabet“, welches ich als InnenArchitektin gefragt bin bewusst zu filtern und zu nutzen, um sinnbildlich neue Wörter zu generieren und so planungsspezifische Werte – Qualität, Nutzen, Maßhaltigkeit, Handwerkliche Tradition und Kompetenzen  z.B. - durch sinnhafte Räume zu implementieren. Für die Zukunft. Sabine Keggenhoff, Mitglied des BDIA und der AKNW und  Inhaberin von KEGGENHOFF I PARTNER. Nach dem Studium der Innenarchitektur in Deutschland, einem Architekturstipendium an der University of New South Wales in Sydney und Stationen in Amsterdam, gründete sie 2001 mit Dipl.-Ing. Michael Than KEGGENHOFF I PARTNER. Ihre Arbeiten werden vielfach publiziert und sind mit nationalen und internationalen Designpreisen ausgezeichnet. Das fachliche Wissen und ihr Engagement zu dem übergeordneten Thema »Raum« dokumentieren sich ebenfalls in zahlreichen Vorträgen, Jurysitzungen, Fachgremien, Kongressen, Gastkritiken und Workshops. 
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Verena von Beckerath / 18.1.2013 / 16:38

Architektin, Berlin

Jein ...

Vielmehr steht es um den Innenraum so, wie auch um die übrigen Bereiche des Bauens, bei denen immer mehr Produkte an die Stelle industriell vorgefertigter oder handwerklich angefertigter Bauteile und der entsprechenden Details treten. Will man sich dieser Tendenz in Teilen entziehen, ist man als Architekt mit mehr Arbeit, mehr Verantwortung, sowie einer umfassenden Haftung konfrontiert. Eine Entwicklung, die nicht unabhängig von der Kultur des Bauherren betrachtet und diskutiert werden kann, und vielleicht eine weitere „provokante Frage“ mit sich bringt. Andererseits sind industrielle Standards nicht grundsätzlich verwerflich und gehören, sinnvoll und intelligent eingesetzt, durchaus zum Repertoire von zeitgenössischer Architektur. Interessant am Innenraum ist, dass er sich in gewisser Weise der Architektur widersetzt und gleichzeitig Architektur ist. Innere Räume transformieren oder verhandeln unmittelbar zwischen öffentlich und privat, Gestaltung und Nutzung sind ineinander verwoben. Man könnte meinen, dass der Innenraum das Verhältnis der Gemeinschaft zu ihren Räumen auf subversive Weise spiegelt, sei es bezogen auf seine Ökonomie, seine Performance, seine Schönheit und die mit ihm verbundene Repräsentation. Wenn Architektur eine Gesellschaft im Wandel begleitet, eine, die mit knappen Ressourcen, mehr Beteiligung, hohen Anforderungen an die Flexibilität und gleichzeitig weniger verfügbarem Raum auskommen will, steht auch der Innenraum zur Disposition. Ein Beispiel: die Suche nach Kriterien für verdichtete und gemischte Stadtquartiere mit einer hinreichend nachhaltigen Bilanz stellt die äußere und insbesondere die innere Organisation von Räumen vor neue Aufgaben. Kleinere Wohnungen und tiefe Wohnungsgrundrisse erlauben Anpassungen, wenn nicht ein Umdenken, gegenüber der Verteilung von Nutzungen, der Belichtung und Belüftung, der Hierarchie und Elastizität von Räumen, deren Oberflächen und Mobiliar, sowie einer feinen Verknüpfung untereinander, woraus sich durchaus überraschende Angebote für den Gebrauch ergeben können. Gleiches gilt übrigens für den Umgang mit bestehenden Bauten, deren Bestimmung verändert, erweitert oder für die eine neue Nutzung gefunden werden soll. Keine schlechten Aufgaben für Architekten, die an der Gestaltung und kollektiven Entwicklung der Gesellschaft und ihren Räumen teilhaben möchten.    Verena von Beckerath, 1960 in Hamburg geboren, lebt und arbeitet in Berlin. Nach kulturwissenschaftlichen Studien in Paris und Hamburg Architekturstudium an der TU Berlin. Wissenschaftliche Assistenz an der UDK Berlin, Lehraufträge und Vertretungsprofessur an der TU Braunschweig, sowie Gastkritiken und Juryteilnahmen im In- und Ausland. Arbeitet als Architektin und Partnerin im Büro HEIDE & VON BECKERATH an Projekten in den Bereichen Wohnen, Kunst/Kultur und Forschung. Publikationen, Beteiligung an Ausstellungen und zahlreiche Auszeichnungen. www.heidevonbeckerath.com
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Friedrich May / 17.1.2013 / 10:23

Architekt, Berlin

Nein ...

Bisher galt meiner Erfahrung nach für den Inneraum: Je Qualitätsbewusster der Bauherr, desto höher die Chance auf professionell durchgestaltete Innenwelten. Ob etwas Zukunftsweisendes oder Fortschrittliches dabei herauskam, hing sehr davon ab wer den Architekten anfragte, welche Unabhängigkeit man ihm zugestand und wieviel Gestaltungsspielraum dieser sich nahm. Solange auf Seiten junger Architekten das Gefühl vorherrscht, dass man für einen Auftrag dankbar sein muss, werden sich nur wenige Planer einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Bauherren über Inhalte und Kosten stellen. Eine Bauausstellung beispielsweise lässt andere Freiheiten zu als viele private oder kommerzielle Auftraggeber. Vielleicht scheint es als seien die Architekten aus dem Innenraumsegment verschwunden. Diese momentan noch vorherrschende Unsichtbarkeit des Berufsstandes bedeutet allerdings keinen endgültigen Abzug vom Spielfeld. Solange Fläche vergleichsweise bezahlbar war, investierten Bauherren in maximale Größe. Je mehr die Quadratmeterpreise in Berlin, München und Hamburg steigen, desto rascher werden dort Architekten auch für den Innenausbau herangezogen - zumindest in den Großstädten. Man kann dies in Metropolen wie Paris, London, Barcelona beobachten. Dabei brauchen die Auftraggeber nicht nur effizientere Grundrisse als bislang, sondern gleichzeitig effektive und erlebnisreiche Innenräume. Je individueller oder auch je "schwieriger" der Raum, desto gefragter ist eine Maßanfertigung. Der Bauherr wiederum muss sich zu einem bestimmten Ort bekennen. Ob dies ein Vorbild und eine Chance für alle anderen Regionen ist, wird sich zeigen. Ich sehe zukünftig nicht den Neubau als Schwerpunkt für anspruchsvolle Innenraumgestaltung, sondern Ausbauten, Sanierungen und Umnutzungen im Bestand. Wo bereits vorhandene Gestaltung nicht genügt, wo Vorstellungskraft und Fähigkeiten der Mitstreiter enden, ist der Architekt in seinem Element und kann den Ideen durch sein Wissen Gestalt geben.
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Axel Groß / 16.1.2013 / 12:50

Architekt, Szenograph, Berlin

Nein ...

... da die Frage ungenau formuliert ist. Die Architekten als *Büroinhaber* mögen der Industrie den Innenraum überlassen haben. Ebendieser Innenraum wird allerdings in der Industrie dennoch im Gros der Fälle von studierten Architekten bearbeitet. Viele Architekten, und ganz sicher nicht ausschliesslich jene mit den schlechten Noten, haben die Büros in Richtung Industrie verlassen. Die Gründe dafür sind individuell und vielfältig, einer könnte beispielsweise sein die Zeit ab 19:30 Uhr mit der Familie zu verbringen. Ich würde plädieren die Frage um den Faktor Qualität erweitern, und mir weniger Standesdünkel und mehr Solidarität von Kollege/in zu Kollege/in wünschen, unabhängig des Arbeitsvertrages.
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Hermann Czech / 14.1.2013 / 22:18

Architekt, Wien

Jein ...

Architekten haben oft sinnvollerweise die individuelle Entwicklung des Innenraums den Benutzern überlassen — so etwa Adolf Loos. Erst er konnte die Geschichte vom armen reichen Manne schreiben, die besagt, dass eine Wohnung, ein Haus mit dem Benützer weiterleben und Entscheidungen eines anderen Geschmacks — das heißt, einer anderen Ethik — ertragen muss. Von einem Verständnis des Loos’schen Werks aus ist die Delegation ästhetischer Entscheidungen an andere — an Benutzer, an Spätere — konzipierbar. Loos lässt uns eine Architektur ahnen, die stark genug ist, eine Vorgabe zu sein, offen, vieles aufzunehmen, aber auch des Leids der Entstellung gewärtig. Dieser ästhetische Aspekt einer „Partizipation der Nutzer” betrifft natürlich auch die Produkte, die sie wählen. Aber die Frage nach der Industrialisierung betrifft ja nicht nur den Innenraum, sondern die Architektur überhaupt. Produkte und Halbfabrikate sind integrale Bestandteile des Bauwerks; ihre Auswahl und Kombination ist Teil des Entwurfs. Architektur hat mit sehr vielen Sachen zu tun; Sachlichkeit bedeutet, jede Sache entsprechend ihren Bedingungen zu behandeln. Da nur wenige dieser Sachen einander gleichen, ist die Grundlage von Sachlichkeit und schließlich ihr Ergebnis nicht Einheitlichkeit, sondern Heterogenität. Beide Bereiche, Partizipation und Produktauswahl bringen ein nicht leidensfreies Aushandeln und Optimieren mit sich. Inwieweit der „Architekt” sich souverän, verhandlungsfähig oder resignierend verhält, wäre in der neuen Entscheidungsmaterie nicht eine prinzipiell neue Frage. Freilich: Der Entwurf genießt immer weniger Respekt. Architektur wird als Dienstleistung angesehen, was sie in einem engeren rechtlichen Sinn auch ist. Aber statt einer Gesamtverantwortung wird zunehmend nur Spezifisches nachgefragt. Aber vielleicht wird Architektur zunehmend von einer individuellen zu einer Art von gesellschaftlicher Leistung?   Hermann Czech, geb. 1936, studierte Architektur bei Konrad Wachsmann und Ernst A. Plischke und war später an der Akademie für angewandte Kunst in Wien Assistent bei Hans Hollein und Johannes Spalt. Es folgten Gastprofessuren an derselben Hochschule sowie an der Harvard University in Cambridge/USA und an der ETH Zürich. Zu seinem architektonischen Werk gehören neben Planungen von Wohn-, Schul- und Hotelbauten Gastlokale und ihre Innenraumgestaltung (z.B. Kleines Café, 1970 und 1974; Wunder-Bar, 1976; Salzamt, 1983; Restaurant im Palais Schwarzenberg, 1984; Theatercafé, 1998 und 2010; Gasthaus Immervoll, 2000 – alle in Wien). Er ist Autor zahlreicher kritischer und theoretischer Publikationen zur Architektur und Herausgeber von Reprints / Übersetzungen zu Otto Wagner, Adolf Loos, Josef Frank und Christopher Alexander.
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Nils Holger Moormann / 13.1.2013 / 22:12

Möbelproduzent, Aschau

Ja ...

Mehrheitlich ist das sicherlich der Fall und das sind ganz klar vergebene Chancen. Aufgefallen ist mir die Diskrepanz zwischen ambitioniert geplanter Hülle und belanglosem Inneren am augenfälligsten bei dem Besuch der jeweils angesagten Museen und dem anschließenden Gang zu den Waschräumen. Erstaunlich wie oft hier kaum noch Gestaltungswille anzukommen scheint. Schade, lebt doch auch die Architektur von der Durchdringung und der Summe der überlegt gestalteten Details. Offensichtlich werden hier die meisten Architekten recht früh vom allgemeinen Kostendruck und den Unwegbarkeiten auf der Suche nach individueller, dem Bau entsprechender Gestaltung abgeregelt. Es ist, so denke ich, nicht die Mehrarbeit, die abschreckt, sondern das Fehlen eines wirklich missionarischen Eifers, dem Bauherren zu vermitteln, wo Gestaltung aufhört und Belanglosigkeit beginnt. Den Rest erledigt leicht eine überbordende juristische Garantiepflicht, die Architekt und Handwerker dann doch lieber zum geprüften allgemein verständlichen Standard greifen lässt. Das ist doppelt schade, weil auf Dauer nicht nur die Baukultur darunter leidet, sondern auch permanent Wissen und Einfühlnahme des Handwerks verschwindet und einer Normierung geopfert wird.   Nils Holger Moormann: Heftige Begegnung mit der Faszination der Designwelt in den frühen achtziger Jahren und daraus resultierendem schnellen Abbruch eines Jurastudiums. Konsequenter Ausbau dieser Leidenschaft, die inzwischen zu einer international beachteten und vielfach ausgezeichneten Möbelkollektion geführt hat. Vielfältige Jury- und Vortragstätigkeit.  
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Van Bo-Le Mentzel / 13.1.2013 / 22:08

Designer, Berlin

Ja ...

Das ist auch nicht weiter schlimm weil die (Interior Design) Industrie früher oder später implodieren wird. Zumindest in Deutschland. Die nächste Generation wird man nicht mehr durch einen Eames Lounge Chair oder Expeditregal hinter dem Ofen hervorlocken können. Status- und Lifestyle-Wirtschaft weicht neuen Wirtschaftsformen. Konsumenten werden vermehrt Ansprüche stellen an die ethische Herkunft von Gütern und sich vermehrt über soziale Werte definieren. Coworking, Carsharing, Crowdsourcing und Crowduction lauten die neuen Freiräume der Zukunft. Und da der Architekt ja letzlich auch Räume gestaltet, wird er auch lernen, diese Räume zu ordnen. Jenseits von Boden, Wand und Decke. Räume schaffen zwischen der Natur, den Lieferanten, Produzenten und Konsumenten.   Van Bo Le-Mentzel, geb. 1977, ist Architekt, Graffiti-Sprayer und Rapper. Unter dem Label „Hartz-IV-Möbel“ entwickelt er Selbstbauanleitungen für Möbel im Stil der klassischen Moderne, wie den „24 Euro Chair“, die sich mit einfachen Materialien kostengünstig realisieren lassen. Er stellt diese Anleitungen im Netz mit der Bitte um einen Erfahrungsbericht der jeweils praktizierenden Bastler kostenlos zur Verfügung. Die Pläne sind in dem kürzlich erschienene Buch „Hartz IV Moebel.com, Build More Buy Less! Konstruieren statt konsumieren“ gesammelt.
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Mateo Kries / 25.1.2013 / 17:45

Direktor Vitra Design Museum, Weil am Rhein

Nein ...

... denn die Kritik, die Industrie habe die Gestaltung von Innenräumen übernommen, weist in die falsche Richtung. Natürlich ist das Wohnen ein großer Markt geworden, auf dem es um Sinnsuche, Repräsentation geht. Aber war er das nicht schon immer? Die Gestaltung von Innenräumen auf die Banalitäten einer Lifestyle-Industrie zu reduzieren, ist so, als würde man den Architekten auf die architektonische Standardware unserer Vorstädte reduzieren. Es gibt eben die großen Würfe und die kleingeistigen Imitate.

Letztendlich sind die Umbrüche in der Gestaltung von Innenräumen Teil eines Wandels, der sich durch das gesamte 20. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt. Dieser Wandel hat mit gesellschaftlichen und technischen Veränderungen zu tun, hat aber auch grundlegende Auswirkungen auf die Berufsbilder, die für die Gestaltung von Räumen verantwortlich sind. Lange Zeit war es ausschließlich der Architekt, der Räume gestaltet hat, schließlich war die Architektur als „Mutter aller Künste“ auch für diese dem Menschen nächste Sphäre zuständig. Doch schon mit der Verbürgerlichung des Wohnens, mit dem Aufkommen von Tapeten, Farbgestaltung, künstlichem Licht, konnte der Architekt nicht mehr sämtliche Details des Innenraums übersehen, so dass die Disziplin der Innenarchitektur entstand. Die großen Architekten entwarfen auch weiter Innenräume und Möbel, und weil diese aus einem Guss mit ihren Bauten entstanden, entstanden auf diese Weise oft die größten Würfe, während der Innenarchitekt eher für die Domestizierung der Avantgarde zuständig war. Mit der Industrialisierung und der Ausdifferenzierung von Lebensstilen entstand dann wiederum ein Spezialwissen, das vom Architekten allein nicht umgesetzt werden konnte, und es trat der Designer auf den Plan. Nun übernahm auch er Verantwortung für die Gestaltung von Innenräumen, insbesondere für deren Möbel und Objekte. Wenn wir die Entwürfe eines Verner Panton, einer Andree Putman oder eines Konstantin Grcic betrachten, so manifestieren sich darin Visionen eines Lebens in der Gegenwart, wie sie auch die große Bauten ihrer Zeit bündeln.

Ohne diese Vorgeschichte ist eine Debatte darüber, wer heute wie an der Gestaltung von Innenräumen mitwirkt, nicht zu führen. Viel stärker als früher ist der Innenraum das Terrain, auf dem sich mehrere Disziplinen tummeln, und das zu Recht, weil die Anforderungen daran immer komplexer werden. Wenn er die Zeit dafür aufbringen will, kann jeder Architekt heute doch ein Zukunftsinterieur gestalten – die Industrie wird ihm dabei nicht im Wege stehen. Und wenn dieses Interieur gelungen ist, wird es seine Öffentlichkeit finden, denn diese sucht händeringend nach Visionen, die diesen Namen verdienen. Das gleiche gilt für Designer und Innenarchitekten. Letztere haben es dabei noch am schwersten, denn in einer Zeit, in der sich jeder sein Interieur selbst zusammenstellt, braucht man zwar Möbel und auch Häuser – aber die persönliche Schicht dazwischen, die früher einmal das Terrain des Innenarchitekten war, erschafft sich heute jeder selbst. Interessant wäre deshalb eine Diskussion um die Zukunft der Innenarchitektur, die aus meiner Sicht mitnichten überholt ist. Aufgaben gäbe es genug, doch müssten sie besser benannt werden: wie verbinden wir heute Wohnen und Arbeiten? Wie können neue Medien so in den Wohnraum integriert werden, dass sie diesen nicht in einen Mediamarkt verwandeln? Wie können wir nachhaltiger Wohnen, indem wir Lebenszyklen, Gebrauchzyklen und gemischte Funktionen von Räumen berücksichtigen?

Solche Themen lassen sich nur in einem kulturellen Raum diskutieren, da sie große gesellschaftliche Fragen betreffen. Natürlich kommt dann auch wieder die Industrie ins Spiel, denn anstatt Investitionen in modische, kurzlebige Artikel wäre ihre Unterstützung für wirklich innovative Produkte gefragt. Aber die kulturelle Öffentlichkeit steht ebenso in der Pflicht, also Medien, Hochschulen und Museen. Deswegen versuchen auch wir am Vitra Design Museum, dazu einen Beitrag zu leisten. Hier seien nur zwei Beispiele dafür genannt: Am 22. Februar 2013  eröffnen wir die erste große Retrospektive über Louis Kahn seit 20 Jahren. Kahn war ein Musterbeispiel dafür, wie Architektur Räume gestalten kann, ohne jedes Möbel und jedes Einrichtungsdetail definieren zu müssen. Die Raumstrukturen Kahns, seine Lichtführung waren so souverän, dass die Haltung des Architekten zum Innenraum völlig deutlich wird, ohne dass er seine „Signatur“ über selbst gestaltete Möbel kommunizieren müsste. Das interessierte ihn auch gar nicht so sehr, es war die Sphäre, in der ein Bau ein Eigenleben entfalten sollte. Ein zweites Beispiel: Für 2014 arbeiten wir mit Konstantin Grcic an einer großen Einzelausstellung, die erstmals eine umfassende Vision von Grcic für das Interieur der Zukunft präsentieren wird. Der Titel: „Future Perfect“. Auf eine solche Zukunft kann sich die Architektur dann freuen, wenn Architekten die verstaubten Scheuklappen einer wie auch immer gearteten professional supremacy fallen lassen und sich endlich als Teil jenes produktiven Gestaltungsnetzwerks begreifen, das in Wirklichkeit schon längst die produktive Infrastruktur unserer gebauten Umwelt darstellt.

 

Mateo Kries ist Direktor des Vitra Design Museums. Er wuchs in Spanien und Deutschland auf, studierte Kunstgeschichte und Soziologie und begann 1995 seine Tätigkeit im Vitra Design Museum. Dort kuratierte er zahlreiche Ausstellungen, leitete von 2000 bis 2006 das Vitra Design Museum in Berlin und übernahm 2011, zusammen mit Marc Zehntner, die Gesamtleitung. Neben seiner Museumstätigkeit publiziert Kries Texte und Bücher über Design und Architektur, war Mitgründer des Festivals Designmai und ist Mitglied zahlreicher Jury, u.a. des deutschen Designpreises. Zu den Themen seiner Ausstellungen zählten u.a. Le Corbusier, Mies van der Rohe, Rudolf Steiner, Joe Colombo, arabische Architektur und Issey Miyake. Sein letztes Buch „Total Design“ (Nicolai Verlag, 2010) ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Omnipräsenz von Design in unserem täglichen Leben. 

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